30 Minuten zu spät – wie die Politik das Krankenhaus Ebern fallen ließ

Wer früher in Ebern eine Blinddarmentzündung hatte oder einen Oberschenkelbruch, der wusste: Hilfe ist nur wenige Minuten entfernt. Das Krankenhaus Ebern war jahrzehntelang eine tragende Säule der Gesundheitsversorgung für die Stadt und ihr Umland. Die Menschen vertrauten auf schnelle, verlässliche Versorgung – sei es bei Geburten, Unfällen oder akuten medizinischen Notfällen. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Was einst ein vollwertiges Krankenhaus war, wirkt zunehmend wie eine Hülle seiner selbst – schleichend, aber konsequent zurückgebaut. Der drohende Verlust eines ganzen Standorts geht dabei leise vor sich. Doch die Auswirkungen sind gravierend. Wer heute in Ebern operiert werden muss, muss hoffen, dass es sich um einen kleinen, ambulanten Eingriff handelt – alles andere ist Vergangenheit. Die Chirurgische Station des Krankenhauses Ebern wurde bereits im Jahr 2021 geschlossen. Vorausgegangen war kein Beschluss aus Berlin, sondern eine Entscheidung des Landkreises Haßberge, der...

Die Bürokratie-Patientenakte: Schon 1925 stellte Tucholsky die richtige Diagnose

Ellen Fritz und Kurt Tucholsky 1904
Symbolbild (Ausschnitt, verändert): „Ellen Fritz und Kurt Tucholsky 1904“, unbekannt, Lizenz: CC0 1.0 Universell (gemeinfrei), eingebettet via Wikimedia Commons


Am 31.3.1925 erschien in der damals einflussreichen Zeitschrift „Die Weltbühne“ ein Text, der es auch nach 100 Jahren immer noch zu großer Relevanz geschafft hat: Kurt Tucholskys satirische Glosse „Die Zentrale“ [➚]. Unter seinem Pseudonym Peter Panter entwarf der Schriftsteller und Journalist ein humorvolles, aber zutiefst kritisches Bild der Bürokratie und der Bürokratien – ein Thema, das in der heutigen Arbeitswelt nichts von seiner Bedeutung eingebüßt hat. Tucholsky, der zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik gehörte, schuf mit diesem Text ein weiteres Werk, das die Mechanismen von Macht und Bürokratie scharf beleuchtet und auch heute noch den Nagel auf den Kopf trifft.

In „Die Zentrale“ beschreibt Tucholsky eine anonyme Bürokratie, die nicht nur durch ihre Unfähigkeit und Überheblichkeit glänzt, sondern auch durch ihre Selbstgenügsamkeit und ihr ständiges Bemühen, Kontrolle zu behalten. Die Zentrale, so heißt es im Text, hat „die Übersicht“, ist sich aber oft nicht bewusst, dass sie die Kontrolle über die tatsächlichen Geschehnisse längst verloren hat. Die Zentrale weiß alles besser – oder zumindest tut sie so – und zwingt die untergeordneten Ebenen zu einer unendlichen, oft sinnlosen Bürokratie, die jegliche Tatkraft erstickt.

„Die Zentrale weiß alles besser. Die Zentrale hat die Übersicht, den Glauben an die Übersicht und eine Kartothek“, schreibt Tucholsky in seinem Text, der durch seine ironische Überzeichnung ein treffendes Bild der damaligen wie auch heutigen Bürokratie liefert. Es ist eine scharfe Kritik an der träge gewordenen Verwaltungsstruktur, die nicht in der Lage ist, auf die Bedürfnisse der Praxis zu reagieren, sondern stattdessen mit zahllosen Vorschriften und Reformen den Handlungsspielraum der Einzelnen immer weiter einschränkt.

Die Zentrale als selbstgenügsames, oft auch selbstverliebtes System zeigt eine Form von Bürokratie, die sich von der Realität entfernt und zunehmend von „schlauen“ statt von „klugen“ Köpfen beherrscht wird. Diejenigen, die ihre Arbeit tatsächlich verrichten, werden nicht als klug, sondern als überflüssig betrachtet, während diejenigen, die sich durch das System von Vorschlägen und Reformen mogeln, in die Zentrale aufsteigen und ihre neu gewonnenen Positionen dazu nutzen, die „kleinen Leute“ zu kontrollieren.

Die Weimarer Republik, in der Tucholsky seinen Text veröffentlichte, war eine Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Es war eine Ära, die von politischen Spannungen, sozialen Problemen und einer sich neu ordnenden Gesellschaft geprägt war. Tucholsky, der sich als linksliberaler Journalist und Gesellschaftskritiker verstand, betrachtete mit einer Mischung aus Humor und Enttäuschung die zunehmende Verkrustung der politischen und bürokratischen Strukturen. „Die Zentrale“ kann als eine scharfe Gesellschaftskritik verstanden werden, die nicht nur die Bürokratie, sondern auch die damit verbundenen Machtstrukturen hinterfragt. Die Zentrale steht dabei sinnbildlich für alle Institutionen und Systeme, die von oben herab über das „einfache Volk“ herrschen, ohne wirklich zu verstehen, was in der Praxis notwendig ist.

In seiner Übertreibung, bei der Tucholsky von der Zentrale als einer „Einrichtung, die dazu dient, Ansätze von Energie und Tatkraft der Unterstellten zu deppen“, spricht, wird die Absurdität der Bürokratie auf den Punkt gebracht: Der untergeordnete Arbeiter ist dem ständigen Diktat von oben ausgeliefert und kann kaum etwas tun, um wirklich Veränderungen zu bewirken.

„Die Zentrale ist eine Kleinigkeit unfehlbarer als der Papst, sieht aber lange nicht so gut aus“, schreibt Tucholsky, der mit dieser Formulierung eine doppelte Kritik übt: Zum einen wird die Unfehlbarkeit der Bürokratie in Frage gestellt, zum anderen wird sie als instinktlos und träge charakterisiert. Die Zentrale ist keine Quelle der Weisheit, sondern ein überbürokratisiertes System, das sich vor allem durch seine Unbeweglichkeit auszeichnet.

Kurt Tucholsky war ein Meister der satirischen Überzeichnung, und seine Wahl des Pseudonyms „Peter Panter“ für diesen Text war ein bewusster Schritt, um seine Kritiken zu verschleiern und dennoch öffentlich Gehör zu finden. Tucholsky schrieb oft unter verschiedenen Namen, um seinen gesellschaftlichen und politischen Botschaften mehr Raum zu geben. „Peter Panter“ war eines dieser Pseudonyme, das Tucholsky in der „Weltbühne“ verwendete, um seine satirischen und oft provokanten Texte zu veröffentlichen, ohne dass seine Leser gleich die Identität des Autors erkannten.

Diese Strategie ermöglichte es ihm, über Themen wie Bürokratie, Militarismus und den Aufstieg des Nationalsozialismus zu schreiben, ohne sich der vollen Wucht der Repression aussetzen zu müssen. Tucholsky wusste um die Zensurmaßnahmen und die Gefährlichkeit seiner Aussagen, insbesondere zu einer Zeit, als die politische Landschaft der Weimarer Republik von extremen Strömungen geprägt war. Mit „Die Zentrale“ und vielen anderen Texten übte er eine Form der politischen Aufklärung aus, die darauf abzielte, die Bürger vor den Gefahren der politischen Rechten und vor einer autoritären Bürokratie zu warnen.

Ein weiterer Aspekt von Tucholskys Werk ist die Tatsache, dass seine Schriften, einschließlich „Die Zentrale“, heute gemeinfrei sind. Seit 2006, also 70 Jahre nach dem Tod des Autors, sind seine Werke Teil des öffentlichen Kulturerbes und können genutzt, zitiert und veröffentlicht werden.

Tucholskys Werke, zu denen auch seine politische und satirische Prosa gehört, sind ein wertvoller Beitrag zur deutschen Literatur- und Kulturgeschichte. Die Schriften des Autors sind nicht nur aus literarischer Sicht von Bedeutung, sondern auch als ein Spiegel der politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Zwischenkriegszeit.

Tucholsky selbst verstand sich als Gesellschaftskritiker, der versuchte, durch seine Texte zur Aufklärung und zur politischen Bewusstseinsbildung beizutragen – und „Die Zentrale“ ist dabei eines seiner herausragendsten Werke. Der Text über die Bürokratie und ihre Tücken ist heute immer noch ein treffendes Bild für die Absurditäten, die in modernen Verwaltungsstrukturen oft anzutreffen sind. Dass Tucholsky bereits in den 1920er-Jahren diese Missstände so präzise benennen konnte, ist nicht nur ein Zeugnis seiner scharfsinnigen Beobachtungsgabe, sondern auch ein Hinweis darauf, dass die grundlegenden Probleme von Machtstrukturen und Bürokratien zeitlos sind. „Die Zentrale“ – sie ist mehr als nur ein Ort der Verwaltung, sie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.

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