
In Bayern gibt es derzeit eine – leider wenig beachtete – Kontroverse, die wichtige Elemente der direkten Demokratie betrifft. Zwei Pressemitteilungen vom 18.7.25 zeigen exemplarisch, wie gegensätzlich die Bewertungen der aktuellen Entwicklung ausfallen: Während der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ [➚] eine vorsichtig optimistische Bilanz der letzten Sitzung des „Runden Tisches“ zur Reform der Bürgerentscheide zieht, schlägt die „Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern“ [➚] Alarm. Der Anlass: Pläne, Bürgerentscheide über kommunale Krankenhäuser künftig auszuschließen. Damit steht nicht nur ein zentrales Beteiligungsinstrument in Frage – es geht um die Frage, wie weit demokratische Mitbestimmung auf kommunaler Ebene noch reichen darf.
Insbesondere die „Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern“ äußert Bedenken: Der „Runde Tisch“, ein von der Bayerischen Staatsregierung einberufenes Gremium zur „Weiterentwicklung“ der Bürgerentscheide, wolle offenbar Bürgerentscheide zur Zukunft kommunaler Krankenhäuser von vornherein ausschließen. Sollte dieser Vorschlag in geltendes Recht übergehen, so die Aktionsgruppe, würde das einem demokratiepolitischen Rückschritt gleichkommen – und mehr noch: dem Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes. Die medizinische Versorgung vor Ort sei keine technische Randfrage, sondern ein zentrales Element der kommunalen Lebensqualität – und damit unbedingt eine Angelegenheit, über die die Bürgerinnen und Bürger selbst mitentscheiden müssten.
Die Gruppe verweist in ihrer Stellungnahme ausdrücklich auf frühere Aussagen von Ministerpräsident Markus Söder, der sich in der Corona-Krise 2020 noch als Fürsprecher kommunaler Krankenhäuser positionierte. Damals versprach er nicht nur Rettungsschirme [➚], sondern eine bessere Finanzierung für die kleinen Kliniken im ländlichen Raum – ein Versprechen, das für viele heute als gebrochen gilt. Besonders kritisch sieht die Aktionsgruppe, dass nun offenbar über den Umweg des „Runden Tisches“ versucht werde, unliebsame Bürgerbeteiligung zu beschneiden.
Dass dieses Thema nicht nur eine theoretische Debatte ist, zeigt der Fall Ebern. In der unterfränkischen Stadt sorgte man sich in den vergangenen Jahren wiederholt um die Zukunft des Eberner Krankenhauses. Gleich mehrere Petitionen machten deutlich: Für viele Einwohner/innen geht es um wohnortnahe medizinische Versorgungssicherheit, Vertrauen in die öffentliche Daseinsvorsorge und nicht zuletzt auch um ein Stück Selbstbewusstsein gegenüber politischen Zentralisierungsabsichten.
Ganz anders fällt der Ton bei „Mehr Demokratie e.V.“ aus. Der Verein ist selbst Teil des „Runden Tisches“ und betont die positiven Impulse, die von der letzten Sitzung ausgegangen seien. „In Bayern hat sich eine direkt-demokratische Kultur entwickelt, auf die wir stolz sein können“, erklärte Roman Huber, geschäftsführender Bundesvorstand und Teilnehmer des Gremiums. Zwar sei die Lage sensibel, doch sei es gelungen, praxistaugliche Lösungen insbesondere für den Bereich der Bauleitplanung zu entwickeln. Künftig solle die Bevölkerung früher und besser in Entscheidungsprozesse einbezogen werden – etwa durch Bürgerforen oder Bürgerräte.
Auch Vertreter anderer Organisationen betonten, wie wichtig eine lebendige demokratische Kultur auf kommunaler Ebene sei. Der BUND-Landesbeauftragte Martin Geilhufe etwa verwies auf die Notwendigkeit, Bürgerinnen und Bürger stärker einzubinden: „Wir brauchen mehr Einbindung in Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, nicht weniger.“ Und Helmut Beran vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz warnte, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit aus Planungsverfahren letztlich zu jahrelangen Verzögerungen durch Klagen führen könne – während eine frühzeitige Beteiligung die Konfliktlagen oft entschärfe.
Die Zahlen geben dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“ recht, wenn er Bayern als Vorbild preist: Seit der Einführung des kommunalen Bürgerentscheids vor 30 Jahren wurden im Freistaat rund 2.955 Bürgerbegehren und 740 Ratsreferenden gezählt. Daraus gingen über 2.297 Bürgerentscheide hervor – eine beeindruckende Bilanz. Etwa 40 Prozent aller Bürgerbegehren in Deutschland finden allein in Bayern statt. Auch wenn man bedenkt, dass zusätzlich 411 Bürgerbegehren von den jeweiligen Gemeinderäten übernommen wurden, zeigt sich die politische Sprengkraft dieses Instruments. Die Zahlen sind Ausdruck einer gewachsenen demokratischen Kultur, die gerade auf kommunaler Ebene von gegenseitigem Respekt und Engagement lebt.
Doch während von einem „Update“ des Bürgerentscheids die Rede ist, bleibt unklar, ob es sich dabei tatsächlich um eine Weiterentwicklung oder nicht eher um eine Verlagerung der Entscheidungsmacht handelt. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze warnt, dass die laufenden Reformgespräche kein Freibrief für Einschränkungen sein dürften. Vielmehr gehe es darum, neue Beteiligungsformen zu ermöglichen – durch niedrigere Hürden, unkomplizierte Verfahren und stärkere Mitsprache. Auch SPD-Abgeordneter Horst Arnold äußerte sich kritisch zur Haltung der Staatsregierung: Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung drohe eine faktische Beschneidung der Bürgerrechte. Es sei unverhandelbar, Bürgerbeteiligung als störend oder gar hinderlich abzutun.
Der entscheidende Knackpunkt ist dabei die Bewertung, welche Themen künftig überhaupt noch Gegenstand eines Bürgerentscheids sein dürfen. Wenn Krankenhäuser – wie es der „Runde Tisch“ diskutiert – ausgenommen würden, wäre das ein drastischer Einschnitt. Denn während Fragen der Landes- oder Bundespolitik nur indirekt über Wahlen beeinflussbar sind, bietet der Bürgerentscheid gerade auf kommunaler Ebene eine Möglichkeit, unmittelbar auf Entscheidungen einzuwirken, die das tägliche Leben betreffen.
Krankenhäuser gehören zweifellos dazu. Sie sind mehr als Infrastruktur – sie sind existenzielle Einrichtungen, deren Fortbestand über Leben und Tod entscheiden kann. In ländlichen Regionen wie Unterfranken oder der Oberpfalz kann die Schließung eines Krankenhauses bedeuten, dass der nächste Notarzt über eine halbe Stunde entfernt ist. Dass gerade bei solchen Themen die Stimme der Bevölkerung verstummen soll, widerspricht dem Geist der direkten Demokratie.
Hinzu kommt ein oft übersehener Punkt: Krankenhäuser sind kommunale Aufgaben. Auch wenn die Bundespolitik über Rahmenbedingungen und Finanzierungsmodelle entscheidet, liegt die operative Verantwortung häufig bei Städten, Gemeinden oder kommunalen Zweckverbänden. Dass die Bürgerinnen und Bürger vor Ort darüber abstimmen dürfen, ob ihr Krankenhaus erhalten bleibt, ist daher kein Systembruch – es ist Ausdruck lokaler Verantwortung.
Bürgerentscheide in diesem Bereich sind nicht nur legitim, sie sind notwendig. Denn sie bieten die Möglichkeit, politische Entscheidungen durch die Rückkopplung mit den Betroffenen zu überprüfen. Sie können Prozesse verlangsamen – ja. Aber gerade diese Verlangsamung ist es oft, die Raum für Kompromisse und kreative Lösungen schafft. Statt vorschneller Schließungen könnten durch Bürgerbegehren etwa Kooperationen mit Nachbarlandkreisen vereinbart oder alternative Finanzierungsmodelle gefunden werden.
Dass ausgerechnet hier Einschränkungen geplant sind, offenbart eine Schieflage im demokratischen Selbstverständnis. Der Versuch, das Instrument des Bürgerentscheids ausgerechnet bei den sensibelsten Themen zu beschneiden, wirkt wie eine Flucht vor dem Dialog. Dabei zeigen die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass Beteiligung keineswegs lähmt – sie kann vielmehr Bewegung in festgefahrene Strukturen bringen.
Wie viel Mitbestimmung ist erwünscht – und wo endet das Vertrauen in die Urteilskraft der Bevölkerung? Die Antworten darauf werden nicht nur in Sitzungen des „Runden Tisches“ oder im Bayerischen Landtag gegeben – sondern auch auf Marktplätzen, in Gemeinderatssitzungen und vielleicht in Bürgerentscheiden.
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